Drei Jahre später schlief ich in meinem Zelt im Base Camp des Manaslu, dem mit 8165 Metern achthöchsten Berg der Welt. Es war der Morgen vor dem Gipfelaufstieg, die letzte Möglichkeit, noch einmal alle Annehmlichkeiten des Base Camps in 4950 Meter Höhe zu genießen: durchschlafen, essen, trinken, vorallem zu entspannen.
Ein dumpfer, durchdringender Knall zerschnitt Stille und Anmut der Morgendämmerung. 5:15 AM. Ich fuhr jäh in meinem Schlafsack hoch, dachte, das metallene Zischen der aufgerissenen Zeltreißverschlüsse hätte einem heftigen Traum ein jähes aber ersehntes Ende bereitet. Ich war auf das alles einnehmende Lachen unseres Koches Lacchu gefaßt, der wie jeden Morgen Würztee als erste gute Tat des Tages ins Zelt reichte. Falsch. Viel zu früh. Kein Lacchu, kein Tee.
Regungslos in meinem Schlafsack kauernd war ich ahnungslos. Ich hörte nur, sah und verstand nichts. Ich begann, Fragmente zusammenzusetzen, mir vorsichtig ein Bild zu machen, was passiert sein könnte. Eine Vorahnung setzte sich langsam durch. Die beschützende Sicherheit meines Zeltes nutzte ich als Schutzschild gegen das, was sich draußen abspielte.
Ich hörte Stimmen- und Sprachmatsch, Funkgeräte knarzten. Die Stimmen wurden immer lauter, aufgeregter, schnelles Rennen vor den Zelten. Die Wahrheit perforierte die Wände meines Zeltes.
Ich zog mich an, ging vor das Zelt und setzte mich auf meinen vor dem Zelt liegenden Stein, der mir ein Sofa geworden war, um meinen Tee morgens zu trinken und mich von den ersten Sonnenstrahlen nach kalter Nacht wärmen zu lassen.
Ein Logenplatz mit Ausblick auf Disaster und Tragödie.
Unterhalb des False Summit des Manaslu waren riesige Massen Eis abgebrochen.
Die Lawine hat zur größten Tragödie seit der Erstbesteigung des Manaslu geführt. Mit erbarmungsloser Wucht überranten die Eisblöcke die Camps von Bergsteigern im Hang darunter. Die Geborgenheit ihrer Zelte wurden für sie zur tödlichen Falle. Den meisten ist das Genick gebrochen worden. Ihre Zelte wurden ihr Grab, sie wurden darinliegend in tiefe Spalten des Gletschers weggespült.
Viele sind nie mehr gefunden worden.
Der Berg hatte seine Macht gezeigt und die vermeintliche Größe der Menschen relativiert.
Die wenigen Überlebenden – schwerstverletzt, paralysiert, traumatisiert – sind von Expeditionssherpas gerettet worden. Sie haben ihre Angst überwunden, in dieses gefährliche, labile Terrain in 6300 Meter Höhe zu gehen.
Die winzige Änderung unseres Zeitplans für den Aufstieg zum Gipfel um einen Tag hatte mir das Leben gerettet.
Dennoch hat der 25. November 2012 trotz späteren Gipfelerfolges tiefgreifende Spuren bei mir hinterlassen.
Zwei Leben sind mir geschenkt worden. Es war an der Zeit, etwas zurückzugeben.