Der Schnee war naß und fühlte sich schwer und klobig an. Er knartschte und quietschte unter unseren Steigeisen. Seit drei Tagen schneite es unaufhaltsam, der Sturm wollte nicht abklingen. Unser Lager auf dem Tashi Lapcha hatten wir aufgegeben, weil uns der Schnee zu erdrücken drohte. Unsere Vorräte gingen zu Ende. Der Abstieg war die einzige Lösung. Eine fast tödliche Lösung.
Schnee und Eis, deren pure Schönheit mich vor wenigen Tagen noch in atemlosen Bann gezogen hatten, waren nun mein ärgster Feind im erzwungenen Abstieg.
Sherpas und Bergsteiger traversierten hintereinander an einem extrem steilen Hang. Ich spürte etwas in mir, es machte mich nervös. Als ich mich umdrehte, um meinem Kameraden davon zu erzählen, passierte es.
Oberhalb von uns riss die Schneedecke horizontal ab und im gleichen Moment schrie ich “Lawine, verdammt, Lawine!!!”.
Sofort waren wir Spielbälle der Schneemassen, steuerungslose Puzzleteilchen einer gewaltigen Kraft, die uns keine Chance auf Gegenwehr lies. Wir hatten uns ihr zu ergeben. Chancenlos.
Ich taumelte hin und her, ohne jegliches Gefühl für Zeit und Raum. So schnell wie mir der Boden unter den Füßen weggezogen wurde schienen die Schneemassen unsere gewalttätige Fahrt zu stoppen. Ich steckte bis zum Hals im Schnee. Mein Gesicht war bedeckt mit Eisstücken und Schnee. Wie einbetoniert, circa 300 Meter hangabwärts. Bewegungsunfähig. Geschockt. Blassweiss, weisser als der Schnee. Der Schock saß tief. Ich begriff absolut nichts.
Unsere Sherpas, weiter unten am Hang, befreiten sich selbst irgendwie mit letzter Kraft. Dann kamen sie zu mir. Gruben mich aus, so weit und tief, daß ich mir selber helfen konnten. Dann überließen sie uns uns selbst, suchten die nächsten Verschütteten, um ihnen zu helfen. “Schnell, schnell, raus!” herrschten sie uns an. Der Hang – labil – drohte weiter abzurutschen.
Meine Bewegungen waren mechanisch, instinktiv, hastig, kraftlos und wirr. Ich tat, was mir gesagt wurde, unfähig, selbst zu denken.
Ich konnte mein Glück nicht fassen. Ich habe noch nicht einmal begriffen, daß ich Glück hatte. Raus und weg war meine Maxime. Nur wie, ohne Kraft, unter Schock?
Der Aufstieg durch brusttiefen Schnee zu unserer Route dauerte zwei Stunden, Meine Augen waren verkrustet von Eis, ich war fast froh, nicht richtig sehen zu können. Leer, ausgebrannt, wollte nur weg von diesem Hang. Dieser endete mit dem Einstieg in eine Rinne, in der ich mich abseilen mußte. Extrem schnell abseilen mußte, denn von oben kamen fortwährend Schneemassen herunter, Weisse Guillotine mit schierer Wucht. Ich hing im Seil wie ein Fisch, der nicht an der Angel hochgezogen werden wollte, taumelnd im Seil spürte ich Felsen in der Rinne, nur den Schmerz nicht, den sie verursachten. Immer wieder trafen mich Eis und Schnee von oben, unaufhörliches Bombardement.
Weiter, Runter, Weg, Schnellstens. Raus aus der Rinne.
Ich hatte überlebt. Am 17. November 2009.